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Interview mit Wiebke Schomaker: „Gute Gärtner ziehen nicht am Gras!“

Ich freue mich euch ein kleines Interview mit meiner Blog-Bekannten aus „The Content Society“ Wiebke Schomaker präsentieren zu dürfen. Wiebke ist seit 18 Jahren Logopädin und hat sich auf die Beratung von Eltern spezialisiert. Mehr über Wiebke und ihre Arbeit erfahrt ihr auf ihrem eigenen Blog, den ich euch sehr ans Herz legen kann.

Warum Wiebke sich für den Beruf als Logopädin entschieden habt, was genau „Late Talker“ sind und wann eine Sprachförderung Sinn macht, erzählt sie dir in diesem Interview. Ich wünsche dir viel Spaß und bedanke mich nochmal bei Wiebke für ihre Zeit meine Fragen zu beantworten.

Erzähl mir ein bisschen über dich…

und deinen Werdegang. Wie bist du zur Logopädie gekommen und was fasziniert dich so sehr an der frühen Sprachentwicklung?

Hallo Victoria, ich heiße Wiebke Schomaker und bin seit 18 Jahren Logopädin. Als Kind war ich in logopädischer Therapie, weil ich gelispelt habe. Dass zum Beruf einer Logopädin noch viel mehr gehört, habe ich nach dem Abi in meinem Freiwilligendienst in New Mexico erfahren. Dort habe ich ein Jahr in einem Tageszentrum für geistig behinderte Erwachsene und für Erwachsene im Wachkoma gearbeitet, zusammen mit einer Speech and Language Pathologist, also einer Logopädin. Danach war für mich klar: Diesen Beruf finde ich so spannend, dass ich selbst Logopädin werden will.

Sich mitteilen zu können, ist ein Grundbedürfnis aller Menschen. Dass ich mit meinem Beruf dazu beitragen kann, dass die Kommunikation leichter gelingt, finde ich sehr erfüllend.

Inzwischen habe ich mich auf die Beratung von Eltern spezialisiert, die sich Sorgen um die Sprachentwicklung ihres Kindes machen.

Vor welchen besonderen Herausforderungen stehst du …

… in deiner Arbeit mit Kindern, die eine auffällige Sprachentwicklung haben? Und wie gehst du mit den Sorgen der Eltern um?

Die größte Herausforderung für Eltern ist es, überhaupt einen Platz in der logopädischen Therapie zu bekommen. Denn viele Kinderärzte raten eher zum Abwarten. Das ist nicht immer ein schlechter Rat, denn natürlich sprechen Kinder nicht von Anfang an perfekt. Und jedes Kind hat sein eigenes Tempo – auch in der Sprachentwicklung. Aber: Etwa 8 % aller Kinder entwickeln eine Sprachentwicklungsstörung (SES). Es ist wichtig, eine SES möglichst frühzeitig zu behandeln. Denn wenn ein Kind zum Beispiel so viele Aussprachefehler macht, dass es kaum verstanden wird, kann es sich nicht mitteilen. Das ist entmutigend und kann das Selbstwertgefühl von Kindern noch lange beeinflussen.

Es muss also genau geschaut werden: Wann ist es okay, einfach abzuwarten? Und wann ist es wirklich wichtig, dass ein Kind Unterstützung bekommt und nicht allein gelassen wird?

Late Talker, also zweijährige Kinder, die noch keine 50 Wörter sprechen, haben übrigens ein stark erhöhtes Risiko für eine Sprachentwicklungsstörung. Deshalb ist es auch in diesem Alter schon sinnvoll, genauer zu schauen: Kann das Kind gut hören? Wie kann die Kommunikation und die Sprache spielerisch gefördert werden?

Du schreibst auf deiner Website, dass Sorgen und Ängste …

… von Eltern oft weg gewunken werden. Welche Mythen oder Missverständnisse rund um die Sprachentwicklung würdest du gerne klären?

Der häufigste Spruch, den besorgte Eltern hören, ist wahrscheinlich: „Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.“ Ich verstehe die Intention hinter diesem Satz. Natürlich ist es nicht sinnvoll, ein Kind aus einem übertriebenen Leistungsgedanken heraus mit Druck zu fördern. Aber Eltern mit sprachentwicklungsverzögerten Kindern hilft dieser Satz überhaupt nicht.

Erstens, weil dieser Satz die Eltern nicht entspannt, sondern die Besorgnis und das unruhige Bauchgefühl („Da stimmt was nicht“) ja bleiben. Das lässt sich mit einem Spruch nicht einfach wegreden.

Und zweitens hilft dieser Satz nicht, weil ein Kind mit einer auffälligen Sprachentwicklung kein Ignorieren braucht, sondern individuelle und passende Unterstützung. Um im Bild zu bleiben: Gute Gärtner ziehen nicht am Gras, damit es wächst. Sie sorgen für ideale Bedingungen, ausreichend Wasser, Dünger und Sonne, damit die Pflanze gut wachsen kann.

Auch Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen brauchen gute Bedingungen, damit sich die Sprache genauso gut entwickeln kann wie bei anderen Kindern. Das ist Chancengleichheit und kein übertreibendes Fördern.

Inwieweit siehst du eine Verbindung zwischen Stress …

… (bei Eltern oder Kindern) und Herausforderungen in der Sprachentwicklung?

Immer wieder erlebe ich, dass Eltern große Schuldgefühle haben, wenn ihr Kind eine stark verzögerte Sprachentwicklung hat oder wenn es stottert. Das ist ein großer Stressfaktor bei vielen Eltern. Ich selbst kann das als Mama von drei Kindern so gut verstehen! Deshalb ist es mir immer wieder wichtig zu sagen: Eltern sind nicht schuld daran, wenn ein Kind ein Late Talker ist, wenn es stottert oder andere Sprachauffälligkeiten entwickelt.

Dieses Wissen erleichtert viele Eltern und reduziert den Familienstress enorm.

Das ist wichtig, nicht nur fürs Familienleben, sondern tatsächlich auch für die Sprachentwicklung des Kindes. Denn Stress kann zu ungünstigen Verhaltensweisen von Eltern führen, die nicht sprachförderlich sind.

Ich erkläre das mal am Beispiel eines Late Talkers: Late Talker sind Kinder, die mit zwei Jahren nur einzelne Wörter oder noch gar nicht sprechen. Je älter das Kind wird, desto besorgter werden Eltern verständlicherweise und geraten unter Stress. Es gibt sehr spannende Studienergebnisse, dass sich das Verhalten von Eltern ihren Kindern gegenüber verändert, sobald sie besorgt sind und „besonders sprachförderlich“ sein wollen. Die Eltern von Late Talkern beginnen dann zum Beispiel, ihr Kind abzufragen: „Was ist das?“ Oder ihm Wörter vorzusprechen, die es nachsprechen soll: „Sag mal Auto!“

Beides sind Verhaltensweisen, die die frühe Sprachentwicklung ausbremsen, statt sie zu fördern. Stress und Unwissenheit führen also oft dazu, dass sich Eltern weniger sprachfördernd ihrem Kind gegenüber verhalten – obwohl sie es gut meinen und ihrem Kind helfen wollen.

Wie gehst du in deinem beruflichen Alltag mit Stress um? …

… Und welche Rolle spielt Entspannung für dich persönlich und in der Arbeit mit Kindern und Familien?

Ich habe gemerkt, dass ich eine bessere Logopädin sein kann, wenn ich nicht unter Stress stehe. Denn dann kann ich offen und empathisch für meine Patienten da sein. Das Gleiche gilt für mich in meiner Rolle als Mutter: Auch auf meine Kinder kann ich viel besser eingehen, wenn es mir selbst gut geht.

Meine Strategien, um mein Nervensystem zu regulieren, sind ganz unterschiedlich. Im Moment sind es: Walken oder Joggen, kurze geführte Meditationen, oder auch einfach mal eine Tasse Tee am offenen Fenster.

Es bleibt aber ein schwieriger Balanceakt, Familie und Beruf (und vieles mehr) unter einen Hut zu bekommen. Ich bleibe dabei nicht immer entspannt. In Zeiten hoher Belastung beginne ich, schlecht zu schlafen. Das ist für mich inzwischen ein Warnsignal. Inzwischen achte ich mehr auf mich und meine Bedürfnisse, sodass ich früher eingreife, wenn ich merke: Jetzt wird alles zu viel.

Logopädin Wiebke Schomaker im Profil
Bild: Philine Bach

Gibt es Übungen oder Tipps, die du Eltern empfiehlst, …

… nicht nur um ihre Kinder in der Sprachentwicklung zu unterstützen, sondern auch um im Alltag besser zu entspannen?

Ich weiß ja selbst genau, wie belastet die meisten Familien sind und wie weit weg von „entspannt“ sich viele Eltern fühlen. Deshalb ist es mir wichtig, dass ich mit meinen Tipps für Eltern nicht noch mehr Stress verursache.

Vielen Eltern hilft es, wenn sie wissen, dass Sprachförderung nicht „noch mehr machen“ bedeuten muss, sondern oft „weniger machen“ hilft. Am Beispiel von Late Talkern kann Sprachförderung so aussehen:

  1. Weniger reden und dem Kind mehr Zeit zum Antworten geben: wir Erwachsene sind schnelle Sprecherwechsel gewohnt. Kleinkinder brauchen aber oft viel mehr Zeit, bis sie antworten.
  2. Weniger üben: stattdessen die Sprache nebenbei im Alltag fördern
  3. Weniger erwarten: stattdessen darauf achten, wie dein Kind schon jetzt kommunizieren kann, zum Beispiel mit Blickkontakt, Gebärden, Zeigegesten oder einzelnen Worten

Dein Blog „Starke Sprache“ kombiniert ja das Schreiben …

… mit deinem Fachgebiet. Wie kam es zu dieser Kombination und welche Rückmeldungen erhältst du von deinen Lesern?

Mit meinem Blog wollte ich einen Ort im Internet schaffen, auf dem Eltern fundierte Informationen und Tipps zur Sprachentwicklung bekommen, wenn sie besorgt „googlen“. Schreiben war schon immer eine Leidenschaft von mir und mit meinem Blog kann ich beides verbinden: Mein Wissen als Logopädin und mein Spaß am Schreiben.

Mir schreiben immer wieder Leser*innen, dass sie nach dem Lesen meiner Arikel erleichtert sind: Weil sie sich verstanden fühlen und weil sie jetzt wissen, was sie tun können, um ihr Kind kompetent und spielerisch beim Sprechenlernen zu begleiten.

Diese Rückmeldungen freuen mich riesig! Genau deshalb schreibe ich.

Blickst du auf deine bisherige Laufbahn zurück: …

Gibt es besondere Momente oder Erfolgsgeschichten, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind? Wo siehst du dich in den nächsten Jahren, sowohl in Bezug auf deine berufliche Laufbahn als auch in Bezug auf deinen Blog?

Mein beruflicher Weg verändert sich gerade sehr. Denn ich habe mich vor Kurzem mit meinem Onlineprojekt selbstständig gemacht und meinen ersten Onlinekurs zur Förderung der Aussprache erstellt. Gerade durchlaufen die ersten Kurstester*innen den Kurs. Ich habe noch so viele Ideen, wie ich Eltern unterstützen kann, damit sie ihr Kind gut in die Sprachentwicklung begleiten können. Im Moment probiere ich also einiges aus und bin sehr gespannt, wohin die Reise gehen wird.

Du bist sowohl als Mutter als auch als Fachkraft in der Logopädie tätig …

… Was wünschst du dir für die Zukunft in Bezug auf die Anerkennung und Unterstützung von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen?

Ich wünsche mir, dass jedes Kind die Hilfe bekommt, die es braucht. Damit es sich mitteilen kann und sich verstanden fühlt. Genauso wünsche ich mir für Eltern, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und sie Unterstützung bekommen. Mit meinem Blog versuche ich, dazu beizutragen, dass es wieder mehr Leichtigkeit und Entspannung in Familien gibt.

Logopädin Wiebke Schomaker im grauen Mantel mit gelbem Schal
Bild: Philine Bach

Mehr zu Wiebke und ihrer Arbeit findest du unter https://starkesprache.de/.

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Hallo, ich bin Victoria!

Ich begleite berufstätige Mütter und Väter in Entspannungs- und Ernährungskursen dabei, ihre Balance im Familienalltag wiederzufinden.

Ich bin davon überzeugt, dass eine gesunde Balance aus Familie, Job und Selbstfürsorge sowie der bewusste Umgang mit der eigenen Gesundheit und Ernährung dabei helfen können, körperliche und geistige Herausforderungen zu meistern.

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Eine Antwort

  1. Hallo Victoria,
    dieses Interview habe ich richtig gern gelesen und fand es sehr spannend zu erfahren, dass Wiebke bei einem Freiwilligendienst in New Mexico zur Logopädie gekommen ist. Ich finde es eine tolle Idee, Eltern mit einem Blog – und jetzt auch mit dem Online-Kurs – Unterstützung bei der Sprachentwicklung ihrer Kinder anzubieten. Das zeigt, was im Online-Bereich alles möglich ist, und es ist bestimmt eine Ermutigung für viele Frauen (und Mütter), den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen.
    Ich finde, du hast es hervorragend hinbekommen, die Fragen so zu stellen, dass wir durch ein umfassendes Bild von Wiebkes Arbeit erhalten und auch ganz viel von ihr als Person erfahren. 👏👏

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